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Gaarden Blog



Wenn die Heimat im Koffer ist

Martin Geist     20.10.2017


Migration wird gern als Unglück wahrgenommen. Sie ist jedoch normaler, als viele glauben mögen.

In der kleinen Reihe des Kultur- und Kreativrats Gaarden zur migrantischen Kultur hat die Jüdische Gemeinde Kiel und Region am Donnerstag einen Glanzpunkt gesetzt. Kenntnis- und facettenreich gestalteten Mitglieder der Gemeinde und Gäste einen Abend über das Judentum als Inbegriff einer Kultur des Wanderns.
Ein unaufgeregter Blick aufs Thema Migration kann in diesen aufgeregten Zeiten kann sehr wohltuend wirken. Christian Walda, Kunsthistoriker und ehemaliger Leiter des Jüdischen Museums in Rendsburg, leistete in seinen kurzen Erläuterungen zu den einzelnen Themen genau diesen Beitrag. „Dass so viele Menschen den Ort verlassen, an dem sie geboren sind, ist historisch eher die Regel als die Ausnahme“, stellte er fest und nannte eine Reihe von immer gleichen Gründen dafür: Hunger, Elend, Krieg, politische Verfolgung, Deportation. Verklärt ist als Waldas Sicht hingegen die heutzutage wieder wachsende Sehnsucht nach dem als naturgegeben empfundenen Nationalstaat. Der nämlich sei eine Konstruktion des 18. und 19 Jahrhunderts und seinerseits eher die Ausnahme.
Geradezu elementar ist das Wandern laut Walda fürs Judentum, und zwar von Anbeginn an. Erst war es der Hunger, der dieses Volk trieb, dann die Sklaverei, der die Juden mit einem 40 Jahre währenden Marsch durch die Wüste entflohen, in der Folge jahrhundertelanges Dasein in der Diaspora, verstreut in alle Himmelsrichtungen und immer wieder neu durch vielerlei Vertreibungen zum Wandern gezwungen.
Eindrucksvoll veranschaulichte Tamara Sorina vom Kulturverein „Aschkenas“ dieses Motiv mit einer kleinen Ausstellung zum Thema „Heimat im Koffer“. Fotos zeigten historische Stationen dieser ewigen Wanderschaft, in einem Koffer fanden sich von der Fiedel bis zur Tora jene Gegenstände, die gerade so dort hinein passen, um – wo auch immer – ein Gefühl von Zuhause zu vermitteln.
Munter und heiter und ernst erlebte das sehr zahlreich erschienene Publikum einen Streifzug durch die jüdische Kultur. Evgeny Kosyakin brachte den Gästen die Musik nahe, Norbert Aust die Sprache und Literatur, Walda wiederum widmete sich der Religion und die Jüdische Gemeinde an sich dem Essen. Gleichsam als roter Faden zog sich durch all diese Beiträge die Erkenntnis, dass die Kultur dieses Volkes ohne Land immer stark von der jeweiligen Umgebung geprägt ist und zugleich einen gemeinsamen Nenner hat. Das ist zuallererst die Religion, aber auch das Essen, das Walda als „zentrales Band des Volkes im Alltagsleben“ betrachtet. Koscher, also rein zu sein haben die Speisen, und doch sind sie überall anders. Lassen sich die Ostjuden gefüllten Fisch schmecken, so ist es im Süden eben Falafel. So typisch untypisch ist des eben mit der Kultur nicht nur von jüdischer Prägung. „Sogar unsere gut alte deutsche Kartoffel musste erstmal irgendwann einwandern“, merkte Walda wiederum sehr unaufgeregt an.


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